von
Dr. Taha Ibrahim Ahmed Badri
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In jedem Land und zu jeder Zeit hatte die Natur einen großen Einfluss auf
den Menschen, so dass er diese Natur verehrt und besungen hat. Das gilt
insbesondere für Deutschland, also das Land der Seen, der Flüsse, der Berge und
der Wälder. Und insbesondere in der Zeit des Sturm und Drang (1770 – 1785)
hatte die Natur im inneren Gefühl des Menschen einen großen Wert. Man rief
nämlich – vor allem in der Dichtung – zum Sturm der Empfindung bzw. des Gefühles
auf. Das Motto des Sturm und Drang lautete damals: „Das Gefühl ist mehr als der
Verstand und die Vernunft“[1],
denn – wie Johann Georg Hamann (1730 – 1788), einer der wichtigsten
Hauptvertreter dieser literarischen Epoche, sagte – „Das Herz schlägt früher,
als der Verstand denkt“. Dementsprechend forderten die Dichter dieser Epoche
Genie, Lebensechtheit, Natur und nationales Wesen. Mit anderen Worten kann man
sagen: Natur, Genie, Kraft, Leidenschaft und Gefühl waren die Kennworte der
Sturm und Drang-Dichter.[2]
Zu diesen Dichtern gehörte eben der junge Johann Wolfgang von Goethe (1749 –
1832).
In der Zeit des Sturm und Drang schrieb der junge Goethe seine ersten
großen Gedichte, also die sogenannten Sesenheimer Lieder. Diese schönen
Gedichte, zu denen Willkommen und Abschied und Mailied gehören,
wurden bald im Freundeskreise des Dichters und dann – dank dem Abdruck in der
Zeitschrift Iris – auch weiteren Kreisen bekannt. Seitdem erhielt der
junge Goethe in den führenden literarischen Kreisen sozusagen Namen und Rang.
Zu dieser besonderen Stellung Goethes in der Zeit des Sturm und Drang schrieb
Erich Trunz in seinem Kommentar zu Goethes Werken:
„Er [Goethe] gab dem deutschen
Sturm und Drang von vornherein entscheidende Züge. Es war eine literarische
Revolution. Durch seine Sesenheimer Lieder, mehr noch durch die bald darauf
folgenden Hymnen, wurde er der bedeutendste Lyriker dieser Jugend und leitete
in der Lyrik eine neue Epoche ein, ähnlich wie mit Götz und Werther
im Drama und im Roman.“[3]
In der Zeit des Sturm und Drang wurde die Lyrik – im Gegensatz zur rein
literarischen Lyrik der vorangegangenen Aufklärung - Erlebnislyrik, d.h. der
Dichter schreibt nun über persönliche Erfahrungen und Erlebnisse, die meist mit
der Liebe und der Natur zusammenhängen. Auch die Sprache der Sturm und
Drang-Lyrik neigte meist zur besprochenen Naturform. Kurz gesagt: Das Wesen der
Natur und der Liebe wirkte ins Innere der Seele der Sturm und Drang-Dichter. Genau
diese Merkmale kennzeichnen die Gedichte des jungen Stürmer und Drängers Johann
Wolfgang von Goethe, wie es in seinen oben genannten Gedichten Willkommen
und Abschied und Mailied der Fall ist (darauf werde ich
später ausführlicher eingehen).
Goethes Lyrik kann im allgemeinen in drei Bereiche unterteilt werden,
nämlich die Balladen, die Hymnen und vor allem aber die Naturlyrik (vgl. die
Sesenheimer Gedichte!), die also mit dem Thema meines vorliegenden Beitrages
direkt zusammenhängt. In allen diesen drei Gattungen erreichte Goethe, wie
Ulrich Karthaus[4] betont, eine
Steigerung über die bisher geläufigen Ausdrucksmöglichkeiten hinaus, indem er
aus sprachlichen Elementen des sechzehnten Jahrhunderts, die ihm aus seiner
Frankfurter Herkunft vertraut waren, sowie auch aus seiner Kenntnis des
volkstümlichen Umgangstones eine neue poetische Sprache schuf, deren kühne
Bildlichkeit sie als Ausdruck von Emotionen und Affekten geeignet erscheinen
ließ. Emotionen und Affekte scheinen übrigens Wesensmerkmale von Goethes Gedichten
zu sein, eben weil er empfindet, was er schreibt. Dementsprechend hält man
seine Lyrik für eine Erlebnislyrik im wahrsten Sinne des Wortes.
Bei Goethe waren Natur und Genie bzw. Natur und Liebe, aber nicht Verstand
und Regel, die Triebkräfte der Dichtung. Somit wandte er sich als ein echter
Stürmer und Dränger gegen die auf Vorschrift und Lehre gestellte und demnach
rationalistische Kunstauffassung, wie es in der Zeit der Aufklärung der Fall
war. In seinen Gedichten schrieb Goethe meist über das, was er persönlich
erlebt hatte. Beispiel dafür ist seine große Liebe zu Friederike Brion, die er
in den Sesenheimer Liedern ausdrückte. Man hat diese Lieder deshalb gerne als
„poetische Gestaltung von Goethes Beziehung zu Friederike Brion“[5]
verstanden. Über diese Beziehung werde ich auf den nächsten Seiten noch einmal
sprechen, und zwar bei der Interpretation der Gedichte Willkommen und
Abschied und Mailied.
- Willkommen und Abschied
Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan fast eh’ gedacht.
Der Abend wiegte schon die Erde.
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche,
Ein aufgetürmter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gesträuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.
Der Mond von einem Wolkenhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor,
Die Winde schwangen leise Flügel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und fröhlich war mein Mut:
In meinen Adern welches Feuer!
In meinem Herzen welche Glut!
Dich sah ich, und die milde Freude
Floß von dem süßen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite
Und jeder Atemzug für dich.
Ein rosenfarbnes Frühlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zärtlichkeit für mich – ihr Götter!
Ich hofft’ es, ich verdient’ es nicht!
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Küssen welche Wonne!
In deinem Auge welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden
Und sahst mir nach mit nassem Blick:
Und doch, welch Glück, geliebt zu werden!
Und lieben, Götter, welch ein Glück!
Das Gedicht Willkommen und Abschied wird allgemein auf das Frühjahr 1771 datiert (damals war Goethe 22 Jahre alt). Es erscheint dann im Jahre 1775 in der Zeitschrift „Iris“. Im großen und ganzen geht es in diesem Sesenheimer Gedicht um die große Liebe zwischen Goethe und Friederike Brion. Die Geschichte dieser Liebe lässt sich folgendermaßen erklären: Ende März 1770 kam der Junge Goethe nach Straßburg. Im Oktober desselben Jahres lernte er dieses Mädchen in Sesenheim kennen, als er damals mit einem Freund das Sesenheimer Pfarrhaus als Gast betrat. Er wurde seitdem von ihr tief angerührt. Auch in dieser Zeit lernte er den Anreger des Sturm und Drang kennen, nämlich Johann Gottfried Herder (1744 – 1803). Herders Einfluss auf Goethe war groß. Er wies Goethe darauf hin, dass die Dichtung allein aus dem Herzen und nicht aus dem Verstand ausströmt. Diese neue Kunsttheorie Herders forderte somit alles, was Goethe damals suchte: Natürlichkeit, Einfachheit, Gefühl, Ausdruckskraft, Symbol u.ä.[6] In dieser Zeit schuf Goethe seine ersten großen Gedichte des neuen Stils, nämlich die sogenannten Sesenheimer Lieder, zu denen Willkommen und Abschied gehört, also die Schilderung von Goethes großer Liebe zu Friederike Brion. Hier in Sesenheim – also am Oberrhein inmitten der Obstblüte und in der weiten fruchtbaren Landschaft zwischen Vogesen (einem französischen Mittelgebirge) und Schwarzwald – öffnete sich dem liebenden Goethe ein neuer Sinn für die Natur, denn diese schöne Landschaft gehörte u.a. zu seiner Liebe zu Friederike Brion; in dieser Landschaft hat er eben die Natürlichkeit, die Einfachheit, das Gefühl und die Ausdruckskraft, worauf ich oben hingewiesen habe, finden können. Alle diese Eigenschaften sind in seinem Gedicht Willkommen und Abschied schon enthalten.
Zu Goethes Liebe zu Friederike Brion und deren Einfluss auf seine Lyrik schrieb Edwin Redslob in seinem Buch Goethes Leben:
„Die Neigung des Dichters [Goethe], `im Wirklichen das wahrhaft Ideelle` zu erblicken, wurde durch ein persönliches Erlebnis vertieft, das seine lyrische Dichtung belebte: Ihm trat in Friederike Brion eine Mädchengestalt entgegen, die dem Dichter wie eine Personifikation des Volksliedes erscheinen musste. `Schlank und leicht, als wenn sie nichts an sich zu tragen hätte`, in der im Elsaß [einer franz. Landschaft] damals noch üblichen altdeutschen Tracht, so sah er Friederike ...“[7]
Redslob schrieb weiter:
„Aber alle
literarische Einstellung war vergessen, als er mit Friederike vertraut wurde.
Wie er ihr Wesen und ihre Bewegungen schildert, das gehört zu den mit
innerlichster Zartheit geschriebenen Stellen in `Dichtung und Wahrheit`. Die
Anmut ihres Betragens schien mit der geblümten Erde und die unverwüstliche
Heiterkeit ihres Antlitzes mit dem blauen Himmel zu wetteifern. `So wie das Reh
seine Bestimmung ganz zu erfüllen scheint, wenn es leicht über die keimenden
Saaten wegfliegt, so schien auch sie ihre Art und Weise am deutlichsten
auszudrücken, wenn sie ... über Rain und Matten leichten Laufs hineilte`.“[8]
So groß und so natürlich war Goethes Liebe zu Friederike Brion. Diese Liebe wird übersteigert durch die Liebe zur Schöpfung, also zur Natur, indem Goethe in der geliebten Person, wie wir es später in seinem Gedicht Mailied erfahren werden, zugleich die leuchtende Natur miteinbezieht: die glänzende Sonne, die lachende Flur, die aus jedem Zweig dringenden Blüten, die goldenen Morgenwolken, die singenden Vögel usw. Wir können auch aus dem oben erwähnten Zitat Redslobs herauslesen, dass Goethe die Schönheit und Heiterkeit seiner Geliebten Friederike mit einigen Naturerscheinungen vergleicht: die Anmut ihres Betragens mit der geblümten Erde, die Heiterkeit ihres Antlitzes mit dem blauen Himmel. Auch die leichte Bewegung Friederikes wird hier mit der leichten Bewegung eines Rehes verglichen, das – wie bereits wortwörtlich ausgedrückt – „über die keimenden Saaten wegfliegt“.
Die siebzehnjährige Friederike besitzt in der Tat sehr gute Eigenschaften: sie ist unschuldig, arglos, naiv; sie hat einen süßen Blick und ein liebliches Gesicht; sie ist zärtlich, anmutig und heiter; kurz gesagt: sie ist das natürliche Mädchen. Der junge Goethe liebte dieses Mädchen, so dass Sesenheim nun das Ziel von seinen freien Tagen wurde, sogar auch das Ziel von seinen Liebesbriefen und seinen Liebesgedichten. Goethes Liebesgefühle gegenüber Friederike Brion sind spürbar schon in den ersten zwei Versen der ersten Strophe, sowie auch im weiteren Verlauf des oben erwähnten Gedichts Willkommen und Abschied (vgl. die letzten drei Verse der zweiten Strophe, die ganze dritte Strophe und die ganze vierte und zugleich letzte Strophe!).
Schon in der ersten Strophe des Gedichts beschreibt Goethe den inneren Zustand eines Liebhabers, der im Begriff ist, sich trotz des Einbruches der Dunkelheit mit dem Pferd auf den Weg zu seiner Geliebten zu machen. Die Darstellung dieses Gefühlszustandes wird hier besonders anschaulich durch die Verwendung vielfältiger Bilder aus der Natur: der Abend wiegte schon die Erde, die Nacht hing an den Bergen, die Eiche stand im Nebelkleid. Goethes brennende Sehnsucht, die Geliebte wiederzusehen, war so groß, dass ihr nichts im Wege stehen konnte, denn letzten Endes schlug das Herz des Liebenden und sehnte sich nach der Geliebten, so dass der spontane Entschluss zur Abreise „getan fast eh gedacht“ war.
Ein sehr wichtiges Merkmal dieses Gedichts ist die Verlebendigung von Abstrakta. Das zeigt sich deutlich z.B. in der ersten Strophe, indem Goethe den Weg nach Sesenheim, also zu seiner Geliebten beschreibt: „Wo Finsternis aus dem Gesträuche / Mit hundert schwarzen Augen sah“ und auch in der dritten Strophe, indem er über den Moment des Zusammentreffens mit Friederike berichtet: „Dich sah ich, und die milde Freude / floss von dem süßen Blick auf mich“, sowie auch „Ein rosenfarbnes Frühlingswetter / Umgab das liebliche Gesicht“.
Auch hier in Willkommen und Abschied ist zu bemerken, dass Goethes leidenschaftliche Liebe zu Friederike durch die Beschreibung von Naturerscheinungen deutlicher gezeigt wird, was den engen Zusammenhang zwischen Liebe und Natur bei Goethe erklären könnte. In Dichtung und Wahrheit gibt Goethe eine Beschreibung des natürlichen Hintergrundes seiner nächtlichen Reise nach Sesenheim und zeigt somit seine Liebe zu Friederike:
„Ich glaubte eine Stimme vom Himmel zu hören und eilte, was ich konnte, ein Pferd zu bestellen und mich sauber herauszuputzen. […] So stark ich auch ritt, überfiel mich doch die Nacht. Der Weg war nicht zu verfehlen, und der Mond beleuchtete mein leidenschaftliches Unternehmen. Die Nacht war windig und schauerlich, ich sprengte zu, um nicht bis morgen früh auf ihren Anblick warten zu müssen.“[9]
Das Gedicht Willkommen und Abschied spricht – wie bereits schon erwähnt – von der leidenschaftlichen Liebe zwischen Goethe und dem schönen Sesenheimer Mädchen Friederike Brion. Diese Liebe wird hier in Verbindung mit der Beschreibung von der Natur geschildert, so dass sie (die Liebe) dem Leser plastisch gezeigt wird. Im großen und ganzen spricht dieses Gedicht von den folgenden Punkten:
- Goethes Ritt durch die Nacht zur Geliebten (Strophen 1 – 2),
- dem Glück der Liebenden (Strophe 3) und
- dem Abschied (Strophe 4).
Auf den letzten Seiten habe ich u.a. den ersten Punkt schon erklärt. Darüber hinaus dürfte das oben erwähnte Zitat von Goethe „Ich glaubte eine Stimme vom Himmel zu hören ... um nicht bis morgen früh auf ihren Anblick warten zu müssen“ auch zum Verständnis der ersten und zweiten Strophe beigetragen haben.
Die dritte Strophe spricht nun vom Glück der Liebenden, also Goethe und Friederike. Beide sahen sich endlich, und somit sind die Liebe und Sehnsucht der beiden schon erfüllt worden. Auch hier redet Goethe von einem „rosenfarbnen Frühlingswetter“, das nun das liebliche Gesicht seiner Geliebten umgab. Das heißt, Goethe vergleicht hier die Schönheit seiner Geliebten mit der Schönheit der umgebenden Natur im herrlichen Elsaß-Gebiet.
In der vierten und zugleich letzten Strophe schildert Goethe den Abschied von der Geliebten. Dieser Abschied löst bei den beiden Trauer und Schmerz aus. In diesem Moment zeigt sich die Liebe als den höchsten Lebensinhalt: „Und doch, welch Glück, geliebt zu werden! / Und lieben, Götter, welch ein Glück!“
In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig zu erwähnen, dass Goethe innerhalb seines Gedichtes Willkommen und Abschied sinnvolle und von ihm mit Absicht ausgewählte Vokabeln verwendet hat, um dadurch seine große Liebe zu Friederike Brion hervorheben zu können, wie: Herz, Mond, Mut, Adern, Freude, Atemzug, Frühlingswetter, Zärtlichkeit, Morgensonne, Wonne, Glück; sowie auch: frisch, fröhlich, mild, süß, rosenfarbig, lieblich usw. Betrachten wir diese Vokabeln in Verbindung mit den entsprechenden Situationen und jeweiligen Textstellen, dann können wir zu den folgenden Tatsachen gelangen, die den ganzen Inhalt des Gedichtes zusammenfassen:
· Goethes Gefühlswallung löst seine Handlung aus: er handelt schneller als er denkt (vgl. die bereits erwähnte Aussage Hamanns: „Das Herz schlägt früher als der Verstand denkt“!).
· Dementsprechend ist Goethes Liebe emotional bzw. natürlich zu definieren; er ist ganz überzeugt von dieser Liebe, so dass sein mutiger Zustand, also sein großer Tatwille alle umgebenden Hindernisse überwinden konnte.
· Das Stimmungsbild der Natur, das Goethe in seinem Gedicht dargestellt hat, hat – wie bereits erwähnt – dazu beigetragen, dass uns Goethes Liebe zu Friederike Brion offensichtlich wurde. Gerade diese Funktion der Natur spielt in Goethes Sesenheimer Gedichten eine tragende Rolle.
- Mailied
Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glänzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!
Es dringen Blüten
Aus jedem Zweig
Und tausend Stimmen
Aus dem Gesträuch
Und Freud und Wonne
Aus jeder Brust.
O Erd’, o Sonne,
O Glück, o Lust,
O Lieb’, o Liebe,
So golden schön
Wie Morgenwolken
Auf jenen Höhn,
Du segnest herrlich
Das frische Feld –
Im Blütendampfe
Die volle Welt!
O Mädchen, Mädchen,
Wie lieb’ ich dich!
Wie blinkt dein Auge,
Wie liebst du mich!
So liebt die Lerche
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,
Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut,
Die du mir Jugend
Und Freud’ und Mut
Zu neuen Liedern
Und Tänzen gibst.
Sei ewig glücklich,
Wie du mich liebst.
Goethes Naturgedicht Mailied entstand – dem Titel entsprechend – im Mai 1771 (1775 in der Zeitschrift Iris veröffentlicht) und trug zuerst den Namen Maifest. Es ist ein Preislied auf Goethes große Liebe zu Friederike Brion (vgl. Goethes Gedicht Willkommen und Abschied, worüber ich bereits gesprochen habe!).
Der Inhalt dieses Gedichts behandelt wiederum – wie es in Willkommen und Abschied der Fall ist – die enge Beziehung zwischen Liebe und Natur bei Goethe: das Gedicht drückt nämlich die inneren Gefühle des Dichters zum Frühling und gleichzeitig die Gefühle der Liebe aus. Im großen und ganzen spricht Mailied von insgesamt vier Punkten[10], die miteinander zusammenhängen und meiner Meinung nach die oben angesprochene Beziehung zwischen Liebe und Natur bei Goethe bestätigen; diese vier Punkte sind:
1- Beschreibung der leuchtenden Natur (Strophen 1 – 3),
2- Beschreibung der (inneren) Liebe, wie sie sein kann (Strophen 4 – 5),
3- Beschreibung der subjektiven Liebe des Dichters zu seiner Geliebten (Strophen 6 – 7) und in Zusammenhang damit
4- Wirkung der Liebe (Strophen 8 – 9).
Im ersten Punkt beschreibt Goethe die freie Natur im Monat Mai, also mitten in der Frühlingszeit. Dem Dichter, oder zutreffender gesagt dem liebenden Dichter leuchtet nun die ganze Natur: die Sonne glänzt, die Flur lacht, die Blüten dringen aus jedem Zweig, die schönen Stimmen der singenden Vögel dringen aus dem Gesträuch. So fühlt sich der Dichter ganz glücklich; seine Brust ist voller Freude und Wonne, denn alles um ihn herum klingt so frisch, frei und natürlich. Diese Freude lässt sich eben durch die Ausrufe des Dichters erkennen: „O Erd´, o Sonne, / O Glück, o Lust“.
Im zweiten Punkt ruft der liebende Goethe die Liebe an. Dabei vergleicht er die Liebe mit dem Frühling, denn wenn man – wie Goethe – vom Herzen liebt, sieht man die Welt so schön und so frisch. Der Dichter konnte hier die Liebe bildhaft verlebendigen, indem er sie mit den schönen goldenen Morgenwolken verglichen hat. Somit scheint die Natur bei Goethe ein Mittel zu sein, wodurch er seine Liebe hervorheben konnte. Nach Goethes Auffassung gibt die Liebe der Welt das Leben, wie das Wasser das Feld erfrischt.
Im dritten Punkt spricht Goethe von seiner Liebe zu Friederike Brion, denn das Mädchen, das er hier ausruft: „O Mädchen, Mädchen“, ist keine andere als diese Friederike. Er gibt auch an, dass sie ihn auch liebt: „Wie liebst du mich!“. Bemerkenswert ist aber der schöne Vergleich, den Goethe in der siebten Strophe gemacht hat: er vergleicht hier nämlich seine Liebe zu Friederike mit der Liebe der Lerche zur freien Natur einerseits, und mit der Liebe der Morgenblumen zum Himmelsduft andererseits. Auch hier spielt die Natur in Goethes Verständnis der Liebe wiederum eine tragende Rolle. Durch solche schönen Vergleiche scheint uns der Dichter eben sehr verliebt zu sein.
Im vierten Punkt, also in den letzten zwei Strophen, zeigt Goethe die Wirkung der Liebe auf ihn: seine große Liebe zu Friederike spornt ihn nämlich zu „neuen Liedern und Tänzen“ an. Diese Liebe hat einen großen Einfluss auf ihn, so dass sie ihm Jugend, Freude und Mut verleiht. Das Gedicht schließt – wie es in den letzten zwei Versen zu lesen ist – mit einem schönen Glückwunsch für die Geliebte: „Sei ewig glücklich, / Wie du mich liebst“.
Durch diese vier Punkte, die ich dargestellt habe, ist uns wohl klar geworden, dass das Naturgedicht Mailied auf Grund der Liebesbeziehung des jungen Goethe zu Friederike Brion entstanden ist. Dies bestätigt wohl eine wichtige Tatsache, dass dieses Gedicht nämlich einen großen autobiographischen Bezug besitzt, wie es auch in Willkommen und Abschied der Fall ist.
Aus meiner Lektüre zu Goethes Sesenheimer Gedichten[11] habe ich erfahren, dass Goethe und seine Geliebte Friederike Brion im Mai 1771 immer öfter in den Gärten von Sesenheim spazieren gingen. Zu dieser Zeit war das Wetter so herrlich, dass Goethe über die Klarheit des Himmels und den Glanz der Erde entzückt war. Goethe liebte diese herrliche Natur, wie wir es aus dem Gedicht schon erfahren haben. Und so begann er dieses Gedicht mit der Beschreibung der Natur, um seine Bewunderung für die Schönheit dieser Natur auszudrücken, und dann sprach er ganz offen von seiner Liebe zu Friederike. Somit gelang es Goethe, seine Freude über die Natur und die Liebe darzustellen. In Mailied hat Goethe also die persönliche Liebe mit der herrlich leuchtenden Natur gemischt.
Zum Abschluss meines vorliegenden Beitrages möchte ich gerne die gewonnenen Erkenntnisse zusammenfassen:
- Der Dichter Goethe hatte – insbesondere zur Zeit des Sturm und Drang – ein besonderes Verhältnis zur Natur, so dass er viele Gedichte darüber geschrieben hat, zu denen Willkommen und Abschied und Mailied gehören.
- Goethes Lyrik lässt sich im großen und ganzen in drei Bereiche unterteilen: Balladen, Hymnen und Naturlyrik (vgl. zur Naturlyrik die sogenannten Sesenheimer Gedichte!).
- Natur und Liebe sind nach Goethes Auffassung die Triebkräfte der Dichtung (vgl. Willkommen und Abschied und Mailied!). Demzufolge ist Goethes Lyrik als eine Erlebnislyrik zu definieren.
- Goethes Gedichte Willkommen und Abschied und Mailied sind eine poetische Gestaltung seiner Liebesbeziehung zu Friederike Brion, indem er die Liebe mit der Natur verbindet, um dadurch diese Liebe hervorzuheben. Das heißt, dass diese zwei Naturgedichte auf Grund der Liebesbeziehung des Dichters zu seiner Geliebten entstanden sind. Genau dieser Punkt war das Hauptanliegen meines vorliegenden Beitrages.
Literaturverzeichnis
1 ÚÈÇÓ ãÍãæÏ ÇáÚÞÇÏ: ÊÐßÇÑ ÌíÊì. ÇáäÇÔÑ: ÏÇÑ
ÇáãÚÇÑÝ. ÇáÞÇåÑÉ 1981.
2 ÝÇÑÓ íæÇßíã: ÛæÊå - ÇáÚÈÞÑíÉ ÇáÚÇáãíÉ Goethe. Ein Universalgenie. ÕÇÏÑ Úä ÅÐÇÚÉ ÕæÊ
ÃáãÇäíÇ. ÇáØÈÚÉ ÇáÃæáì. ÏÇÑ ÇáÌÏíÏ -
ÈíÑæÊ - áÈäÇä 1991.
3 Autobiographische Notizen zum Gedicht Willkommen
und Abschied. Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben, Dichtung
und Wahrheit, 3. Teil, 11. Buch. Hamburger Ausgabe, Bd. 9, S. 452.
4 Baumann, Barbara und Oberle, Birgitta:
Deutsche Literatur in Epochen. 2. Auflage, Max Hueber Verlag, München
1996.
5 Best, Otto F. und Schmitt, Hans-Jürgen (Hrsg.): Die deutsche Literatur in
Text und Darstellung. Band 6: Sturm und Drang und Empfindsamkeit. Hrsg. von
Ulrich Karthaus. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1976.
6 Dirksen, Hauke: Interpretation des Gedichts Willkommen
und Abschied von Johann W. v. Goethe. Im Internet veröffentlicht:
http://home.t-online.de/home/dirksenschenefeld/hauke/school/
interpretation_goethe.htm
7 Ecker, Egon: Johann Wolfgang von Goethe.
Ausgewählte Gedichte (1749 – 1775). Band 1 (Serie: Königs Erläuterungen und
Materialien. Band 20/20a). C. Bange Verlag, Hollfeld 1982.
8 Faust, Conny: Johann W. von Goethe: Mailied
– Interpretieren von Gedichten. Februar 2001 im Internet veröffentlicht:
http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/del/11863.html
9 Gedichte und Fragen: Goethe: Maifest
(1771). Im Internet veröffentlicht:
http://.oregonstate.edu/instruct/ger34/maifest.html
10 Redslob, Edwin: Goethes Leben. 3. erneut
durchgearbeitete und erweiterte Auflage, Reclam-Verlag, Stuttgart 1978.
11 Trunz, Erich (Hrsg.): Goethe. Johann Wolfgang
von Goethe. Werke, Kommentare und Register. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden.
Band 1: Gedichte und Epen I.
Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz. Verlag C. H. Beck,
München 1981.
12 Vergleichende Gedichtanalyse: 1. Gedicht: Mailied;
Johann Wolfgang von Goethe – 2. Gedicht: Über das Frühjahr; Bertolt
Brecht. Im Internet veröffentlicht (Verfasser: anonym): http://www.abipur.de/hausaufgaben/alt/files/pdf/44.pdf
[1] Diese These stammt allerdings von dem Franzosen Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778), von der die Stürmer und Dränger ausgingen.
[2] Siehe Barbara Baumann und Birgitta Oberle: Deutsche Literatur in Epochen. 2. Auflage, Max Hueber Verlag, München 1996, S. 91.
[3] Erich Trunz (Hrsg.): Goethe. Johann Wolfgang von Goethe. Werke, Kommentare und Register. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden. Band 1: Gedichte und Epen I. Textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz. Verlag C. H. Beck, München 1981, S. 457.
[4] Otto F. Best und Hans-Jürgen Schmitt (Hrsg.): Die deutsche Literatur in Text und Darstellung. Band 6: Sturm und Drang und Empfindsamkeit. Hrsg. von U. Karthaus. Philipp Reclam jun. Stuttgart 1976, S. 156.
[5] Ebenda, S. 157.
[6] Siehe dazu Erich Trunz (Hrsg.): Goethe. Johann Wolfgang von Goethe. Werke, Kommentare und Register ... S. 456.
[7] Edwin Redslob: Goethes Leben. 3. erneut durchgearbeitete und erweiterte Auflage, Reclam-Verlag, Stuttgart 1978, S. 20.
[8] Ebenda, S. 20.
[9] Autobiographische Notizen zum Gedicht Willkommen und Abschied. Aus: Johann Wolfgang von Goethe: Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 11. Buch. Hamburger Ausgabe, Bd. 9, S. 452.
[10] Vgl. dazu Conny Faust: Johann Wolfgang von Goethe: Mailied – Interpretieren von Gedichten. Im Februar 2001 im Internet veröffentlicht: http://www.hausarbeiten.de/faecher/hausarbeit/del/11863.html
[11] Siehe z.B. Vergleichende Gedichtanalyse: 1. Gedicht: Mailied; Johann Wolfgang von Goethe – 2. Gedicht: Über das Frühjahr; Bertolt Brecht. Im Internet veröffentlicht (Verfasser: anonym): http://www.abipur.de/hausaufgaben/alt/files/pdf/44.pdf